Speedy

Speedy wurde am 19.2.2014 in einem Tierheim in Sofia/Bulgarien geboren und hatte keinen guten Start ins Leben. Die TierheimmitarbeiterInnen waren aufgrund der unüberschaubaren Vielzahl an Hunden und v.a. wegen ihrer mangelnden Kenntnisse über Entwicklungsphasen von Welpen (bzw. Verhalten von Hunden im Allgemeinen) nicht in der Lage, ihn auf das vorzubereiten, was ihn in einem "normalen" Leben erwartet. Selbst Alltäglichkeiten, wie z.B. das Anlegen eines Brustgeschirrs positiv zu verknüpfen, an der Leine spazieren zu gehen, Auto zu fahren usw., wurden nicht mit ihm geübt, es wurde praktisch nichts mit ihm unternommen, wodurch er auch kaum etwas von der Welt kennenlernte. Durch die schlechten Aufzucht- und Haltungsbedingungen und den Mangel an Umweltreizen wurde er depriviert, somit unsicher und ängstlich.

Auch mit seinem österreichischen Pflegeplatz, zu dem er als Halbjähriger gebracht wurde, hatte er kein Glück: Wie ein "Wanderpokal" wurde er innerhalb nur weniger Wochen zwischen vier (!) Pflegestellen "weitergereicht", weil die Betreuungspersonen weder das Wissen noch die Empathie und Geduld für einen Deprivationshund besaßen, im Gegenteil seine Defizite unwissentlich noch verstärkten, da sie keine Ahnung von "Hundesprache" hatten. Solch fragwürdige "Tierschutzpraktiken" sind meiner Meinung nach kein Tierschutz, sondern tierschutzwidrig und nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht akzeptabel (mehr dazu siehe "Handicaphunde" und "Deprivation").

 


Als Speedy im September 2014 zu mir in Pflege kam, war mir sofort klar, dass es sich bei diesem 7-monatigen hübschen Kerlchen um einen Angsthund mit ganz besonderen Bedürfnissen handelte, der sehr viel Behutsamkeit und Geduld brauchen würde. Denn so gut wie alles in der ihm fremd und unberechenbar, ja bedrohlich erscheinenden neuen Umgebung versetzte ihn in Stress und Angst, was nicht verwunderlich ist, denn er bekam nie die Chance, unter sicheren und vertrauensvollen Umständen funktionierende Bewältigungsstrategien für neuartige und furchtauslösende Situationen zu lernen. Speedy zeigte neben der für Deprivationshunde typischen Neophobie (Angst vor Neuem) extreme Geräuschangst (selbst banalste Haushaltsgeräusche, wie z.B. Geschirrklappern, ließen ihn panisch flüchten und wenn Gräser oder Blätter im Wind auch nur leise raschelten, erstarrte er vor Schreck). 

 

Das Alltagsgewöhnungstraining konnte nur mit unendlicher Geduld und in unvorstellbar kleinen Schritten erfolgen - ohne Zeitdruck, ohne Leistungsdruck, ohne Stress, dafür mit viel positivem Feedback und g´schmackigen Belohnungen! Von großer Hilfe war mir dabei meine alte Servicehündin Leah, die Speedy wie ihr eigenes Junges aufnahm, bemutterte und erzog - und er liebte sie dafür abgöttisch (bis zu ihrem Tod im Oktober 2018 war zwischen den beiden eine innige, liebevolle Beziehung)! Als seine Ersatzhundemami brachte sie ihm alles bei, was er "aus Hundesicht" brauchte und er lernte wie ein Musterschüler von seinem großen Vorbild.

 

Ebenso außerordentlich erfolgreich verlief mein verhaltenstherapeutisches Training mit Speedy, auch wenn wir naturgemäß für alles unglaublich viel Zeit brauchten (z.B. dauerte es etliche Wochen, bis er gelassen ins Brustgeschirr schlüpfte, gar monatelang (!), bis er sich von allein ins Auto einzusteigen getraute). Mittlerweile ist Speedy ein selbstsicherer, fröhlicher und charmanter Hund, der auch schon hochmotiviert viele Servicehundeleistungen mit Freude und Perfektion ausführt.

 

Somit ist er nun quasi der allererste Helping Dog, der allererste Handicapbegleithund - trotz seiner eigenen Handicaps! Weil er so begeistert, aufmerksam und sorgfältig beim Helfen ist, selbst immer wieder neue Hilfestellungen "erfindet" (z.B. beim Einheizen, indem er mir Papier und Holz zureicht) und seit einiger Zeit sogar die Klettverschlüsse meiner Orthesen und Schuhe öffnet (ein wahres Wunder bei einem Hund mit vormalig massiver Geräuschangst, bei dem das "Ritsch-Ratsch" von Klettverschlüssen Panikattacken auslöste!), dachte ich in meiner Euphorie sogar, ihn zum staatlich geprüften Servicehund auszubilden. Und er stellte sich überaus geschickt an - solange wir unter uns und in vertrauter Umgebung waren ...

 

Denn trotz aller Erfolge darf man nie vergessen, dass Deprivationshunde auch bei bester Nachbetreuung ihr Leben lang mehr oder weniger gehandicapt bleiben, weil gewisse Defizite aus der frühen Sozialisationsphase nicht mehr wieder gut zu machen sind. Bei ungewohnten Ereignissen, in einem nicht vertrauten Umfeld oder wenn fremde Leute dabei sind, kommt es "instinktiv" im allerersten Moment zu einer Schreckreaktion und zu Meideverhalten - also nicht gerade die besten Voraussetzungen für den Einsatz als Servicehund. Beim Training wird Speedy gezielt, aber behutsam und mit Bedacht an stets neue Situationen herangeführt, damit er zum einen die Erfahrung macht, dass "alles gar nicht so schlimm" ist und zum anderen seine bisher erlernten Coping-Strategien erfolgreich anwenden und ausbauen kann. In seiner freundlichen, hilfsbereiten und eifrigen, dabei sanften und bedächtigen Art ist er stets mit Engagement und Intelligenz (sowie meiner aufmunternden Unterstützung) dabei, alle Herausforderungen meistern! Jedoch, wie gesagt, nur im vertrauten Setting …

 

Von seiner Persönlichkeit sowieso ein zurückhaltender B-Typ, sitzen v.a. die Traumatisierungen während der "Wanderpokal"-Phase ganz besonders tief, weshalb er sich bei fremden Menschen zunächst einmal - für Stunden oder gar Tage - misstrauisch zurückzieht: aus sicherer Entfernung alles genau beobachtend, rückt er fast unmerklich immer näher, bis der Bann schließlich gebrochen ist. Hat er einen Menschen erst mal in sein Herz geschlossen, dann zeigt er ihr/ihm dies auch durch inniges Kosen und Küssen, was ihm den Spitznamen "Küsserkönig" einbrachte;-)

 

Da sich glücklicherweise meine Körperbehinderung insoweit gebessert hat, dass ich keinen Rollstuhl mehr brauche (solange ich meine Orthesen an den Füßen habe), bin ich auch nicht mehr so dringlich auf die Hilfeleistungen eines Servicehundes angewiesen. Mir reicht es vollauf, wenn Speedy mich zuhause und auf unseren Spaziergängen unterstützt, indem er mir heruntergefallene Dinge aufhebt, unterwegs verlorene Sachen wiederbringt, Schuhe und Socken auszieht, die Rückenstützkissen vom Sofa zum Stuhl und wieder retour bringt u.v.a.m. - ich bin sehr, sehr zufrieden und glücklich mit meinem ganz persönlichen Helping Dog, auch ohne staatliche Assistenzhundeprüfung (außerdem gibt es die hier in Deutschland eh noch gar nicht)! Für mich ist es einfach immer wieder wundervoll und beglückend, wenn ein (ehemaliger) Deprivationshund Vertrauen zu sich selbst und zu anderen findet, sich seine Persönlichkeit entfaltet und sich seine Ängste Schritt für Schritt durch positive Begegnungen bzw. Erlebnisse abbauen, sodass dieser Hund letztlich Freude und Spaß am Leben hat! Und dass er weiß, egal was passiert - falls er es fürs erste nicht selbst bewältigen kann, dann ist stets Mirjam für ihn da, die ihn durch alles sicher hindurchlotst:-) 

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